Selbstführung als Führungskraft
Oder auch: „Sei Dein eigener Chairman“ wie es Ruth Cohn in ihrem Buch „Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion“ (1975) formuliert. Was das bedeuten soll? Als Vorgesetzter nicht nur Verantwortung für die eigenen Mitarbeitenden, sondern vor allem auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dies gilt natürlich nicht nur für Sie als Führungskraft, sondern ist grundsätzlich anzuwenden. Verantwortung für mich selbst übernehme ich dann, wenn ich jede Situation, Begegnung und Interaktion, als ein Angebot annehme.
Ein Angebot auf dessen Basis ich eine Entscheidung fällen kann, wie ich mit dieser Situation bzw. meinem Interaktionspartner umgehen möchte. Wichtig ist es also anzuerkennen, dass es in meiner ureigenen Verantwortung liegt zu entscheiden, mit welcher Reaktion ich auf das Angebot antworten – oder auch eben nicht antworten – möchte.
Damit ich dieses Angebot überhaupt annehmen kann, muss ich zunächst WAHRNEHMEN. Diese Wahrnehmung sollte sich sowohl auf das Innen als auch auf das Außen beziehen. Im Innen nehme ich mich selbst wahr, mit all meinen Erfahrungen, Interpretationen und Prägungen. Ich nehme ebenso wahr, wie es mir gerade in diesem Augenblick geht. Denn nicht nur meine Erfahrungen, sondern auch meine aktuelle Tagesform beeinflussen die Wahrnehmung. Auf Basis einer differenzierten Selbstreflexion ist es möglich, dass ich mich dann von der Situation dissoziieren kann. Dies ist notwendig, um den eigenen Anteil aus der Situation „herauszurechnen“. Nur so kann ich Verantwortung übernehmen und rational entscheiden, welche Reaktion sinnvoll ist.
Sinnhaftigkeit kann entstehen, weil die Handlung mich einem übergeordneten Ziel näherbringt. Sinnvoll ist es auch, wenn ich entsprechend meiner Werte handle (auch wenn ich mich gerade noch über etwas geärgert habe, lege ich doch WERT auf Mitgefühl). Wenn einer meiner Werte Mitgefühl ist, dann muss ich mich emphatisch mit den anderen Akteuren der Situation wieder verbinden. Also Wünsche, Bedürfnisse, und Möglichkeiten im Außen wahrnehmen. Das Außen betrifft den situativen Rahmen ebenso wie die Menschen. Hierbei spielen sowohl die Chancen als auch die Grenzen, die durch die Rahmenbedingungen gesetzt werden, eine Rolle, bzw. die Stärken, Potentiale, Fähigkeiten und Motivation, die meine Mitarbeitenden mitbringen.
Leider muss ich Sie jetzt enttäuschen, wenn Sie denken, dass Sie dann das Schwierigste geschafft haben. Die eigentliche Herausforderung liegt im nächsten Schritt. Wenn Sie nun all diese Möglichkeiten und Grenzen WAHR-genommen haben, also so, wie es im Kern wirklich ist, und nicht, wie Sie interpretieren (Sie erinnern sich: „Was ist der Fall?“), dann gilt es im Sinne der Verantwortungsübernahme, als sein eigener Vorgesetzter, der Aufforderung nachzukommen, die Situation als Angebot für die eigene Entscheidung anzunehmen.
Nutzen Sie Ihre Wahrnehmung verantwortungsvoll, indem Sie die entsprechende Portion Mut aufbringen!
Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Überwindung der Feigheit sich auf vorhandene Bücher, Experten, Ratschlägen auszuruhen und stattdessen für sich selbst und seine eigene Meinung einzutreten. Denn wenn ich wahrhaft wahrgenommen habe, was ich mitbringe, was ich brauche und wo ich hinwill, dann sollte ich dafür einstehen. Bitte verwechseln Sie Mut dabei nicht mit Egoismus. Wenn ich beispielsweise den Wert der Menschlichkeit vertrete, dann ist es mutig in einer Situation, vor dem einer meiner Mitarbeitenden von jemand anderem heruntergeputzt wird, für ihn einzutreten. Auch wenn es vielleicht mit persönlichen Nachteilen verbunden ist.
Mutig zu sein bedeutet bei sich zu sein. Sich nicht von Hindernissen von seinem Weg abbringen zu lassen. Nicht die Verantwortung abzugeben (Sie merken das am schnellsten bei Satzanfängen mit: „Ja, aber …“, z.B. „Ja, aber mein Chef war anderer Meinung.“,„Ja, aber dann hätte ich selbst die Aufgabe übernehmen müssen.“ oder „Ja, aber das haben wir immer schon so gemacht.“). Kommt Ihnen bekannt vor? Klasse! Dann können Sie es JETZT ändern.
Wahrnehmen: mich, die anderen sowie die Situation. Und dann diese drei Faktoren zueinander in Beziehung setzen (Ich möchte an dieser Stelle noch einmal kurz an VAKOG erinnern, um mit allen Sinnen auf allen Ebenen wahrzunehmen), so dass Sinnhaftigkeit durch die mutige Handlung, für die ich mich entscheide, entstehen kann.
Die letzte schlechte Nachricht: Neben Mut braucht es Fleiß.
Fleiß, die Bequemlichkeit zu überkommen, sich anderen Vormündern zu unterwerfen, ganz nach dem Motto: „Ich habe es nicht nötig zu denken, wenn jemand anderes (mein eigener Chef) dafür (mit einem höheren Gehalt) bezahlt wird, dies für mich zu übernehmen.“ Die Überwindung der Faulheit, sich dieser fremden Leitung zu unterwerfen, braucht ein kontinuierliches Hinterfragen und ein immer wieder erneutes Eintreten für sich selbst. Dies wird auch in der Sprache sichtbar: „Für mich ist es wichtig, dass…“ oder „Ich trete ein für …“.
Schöner Nebeneffekt: Wenn Sie als Vorgesetzter Ihr eigener Vorgesetzter sind, also für Ihr eigenes Tun und Lassen eigenverantwortlich einstehen und darin authentisch sind, dann nehmen sich Ihre Mitarbeitende daran ein Vorbild. So kann durch kontinuierliches, transparentes Handeln in ihrem Team eine offene Lernkultur entstehen, in dem MUT zum Experimentieren wächst, in dem FLEISS zum Dranbleiben – auch bei Hindernissen – dazu führt, dass Ihre Mitarbeitende über sich hinauswachsen.
Ihre Ines Mikisek