Von der Kunst loszulassen
Als ich das erste Mal vom FOMO-Effekt hörte, fühlte ich mich unmittelbar in meine Kindheit zurück versetzt. Ich spielte früher stundenlang mit der bunten Knete. Meistens produzierte ich Fantasiegebilde als das ich mich mit dem Nachbau von tatsächlich existierenden Dinge beschäftigte. Sie ähnelten irgendwelchen Figuren, bestanden aber viel mehr aus vielen bunt zusammengesetzten Kügelchen.
In den aller seltensten Fällen schoben wir das figurähnliche Gebilde zum Aushärten in den Ofen. Viel wichtiger war das Spiel, das Ausprobieren als das fertige Produkt (ich weiß, FIMO, nicht FOMO – aber ein bisschen kreativer Spielraum muss sein).
Nun aber wirklich zurück zum FOMO-Effekt. FOMO ist ein Akronym für „Fear Of Missing Out“ (also, die Angst davor, etwas zu verpassen). Der Begriff wird erstmalig 2004 von Patrick J. McGinnis verwendet und steht in engem Zusammenhang mit einem unseren Grundbedürfnisse, dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
Ich bin über den Begriff im Rahmen einer Schulung zur Suchtprävention gestolpert. Während der Konsum von Drogen im betrieblichen Kontext (zum Glück) eher eine untergeordnete Rolle spielt, nehmen die Alltagssüchte wie Sport, Kaffee, Arbeit, Sex und Internet zu. Bei letzterem ist der FOMO-Effekt ein wichtiges Anzeichen. Die Internet- oder auch Online-Sucht ist am weitesten bei den 14- bis 24-jährigen verbreitet.
Auch wenn der FOMO-Effekt geräteunabhängig auftreten kann, so ist das Phänomen im Zeitalter von Handys, digitalen Medien und sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram & Co immer häufiger zu beobachten. Die Folge ist ein Gefühl von einer ständigen inneren Unruhe. Diese führt wiederum dazu, dass man immer wieder auf das mobile Endgerät blickt. Netzwerke, Emailprogramme, Nachrichtendienste etc. werden durchforstet.
Die ständige Angst etwas zu verpassen, keinen Anschluss zu einer bestimmten Gruppe zu haben oder bei einem Event nicht dabei zu sein, führt dazu, dass man die Erfahrung, die man selbst gerade macht, den Augenblick, den man selbst gerade erlebt, nicht mehr genießen kann. Denn gedanklich sind die Betroffenen immer am überlegen bzw. abwägen, ob es gerade nicht noch ein besseres, größeres, erfahrungsintensiveres Erlebnis gibt.
Der FOMO-Effekt ist der Verlust der Fähigkeit Dinge zu genießen.
Loslassen. Gar nicht so einfach. Meine Bildschirmzeit am Handy beträgt diese Woche durchschnittlich 1h 31min pro Tag. Dabei stehen Instagram und WhatsApp auf Platz 1 und 2. Die Forscher des „Menthal-Balance“ Projektes haben herausgefunden, dass Menschen durchschnittlich 88 Mal am Tag auf ihr Handy schauen. Ich habe schon seit Jahren alle Töne ausgestellt. Alleinig mein Wecker und Anrufe machen noch Geräusche. Und dennoch gibt es Tage, an denen ich, mehrmals, meist völlig grundlos, während des Essens oder während ich arbeite auf das Handy schaue. Nur um festzustellen, dass es nichts festzustellen gibt.
Loslassen. Die Erkenntnis ist hierfür die wichtigste Voraussetzung. Selbstreflexion: Was ist wichtig für mich? Warum ist es wichtig für mich? Wie kann ich dieses Bedürfnis durch ein anderes Verhalten befriedigen? Ein Verhalten, das nicht zu einer Negativspirale führt. In dem ich mich ständig mit anderen vergleiche, Bilder und Videos konsumiere, nach Likes, Ansichten und Kommentaren süchtig bin, vergesse ich worum es eigentlich geht. Eigene Erfahrungen zu machen. Im Moment zu sein. Zu leben. Das führt in der Folge zu einer noch größeren Unzufriedenheit, da ich noch weniger den Bildern, Videos etc. entspreche. Ich klicke mich durch noch mehr soziale Medien, um dieses Gefühl zu kompensieren. Und so weiter und so fort.
Das einzige was Sie wirklich verpassen, ist Ihr eigenes Leben.
Was ich in meinen Recherchen zu diesem Artikel gelernt habe: Ich bin wirklich nicht so viel in den sozialen Medien unterwegs, sonst hätte ich bestimmt schon längst etwas von JOMO gehört. JOMO – Joy of Missing Out – der Gegentrend zu FOMO 🙂
Ihre Ines Mikisek